Equigy – das Projekt der Zukunft

Wie der Strommarkt mit einer Plattform für alle gleich zugänglich sein wird.

Autor: Lyuba Schulz , Giulia Ferraro


Das Stromnetz wird immer dezentraler und flexibler. Mit E-Autos, PV-Anlagen, Heimbatterien und Wärmepumpen können viele Parteien bis hin zur Ebene Haushalt die Stromproduktion beeinflussen. Deshalb hat Swissgrid zusammen mit TenneT NL und Terna die Crowd Balancing Plattform gegründet und arbeitet seit Abschluss des Pilotprojekts 2020 mit verschiedenen Übertragungsnetzbetreibern in Europa an der Integration von dezentralen Energiequellen, die zusammen eine zusätzliche Flexibilität im Markt darstellen können. Später haben sich auch APG, Tennet DE und TransnetBW der Initiative angeschlossen. Mit der Crowd-Balancing-Plattform ermöglicht Equigy einen sicheren Datenaustausch, der es vielen Aggregatoren erlaubt, an den Regelenergiemärkten teilzunehmen. Equigy möchte branchenübergreifende Standards für ganz Europa etablieren, um den Marktzugang für die Aggregatoren einfacher zu gestalten.

Lyuba Schulz arbeitet bei Equigy unter anderem an den Projekten von Swissgrid mit. In einem Interview hat sie uns erläutert, was ihre Aufgaben sind und auf welche Herausforderungen sie dabei trifft. Lyuba erklärt im Interview die Funktionsweise und die Ziele von Equigy genauer und erklärt, wie Swissgrid involviert ist.

Lyuba Schulz

Senior Specialist Economics & Contracts


Lyuba, welches sind deine Aufgaben bei Equigy?

Ich bin Product Owner für die Crowd Balancing Plattform, und zwar in fünf Ländern. Also in jenen Ländern, in denen sich die Übertragungsnetzbetreiber zusammengetan haben, um an Equigy zu arbeiten. Ich entscheide im Grunde über die Prioritäten für die Entwicklungsteams. Es gibt verschiedene Anforderungen der Übertragungsnetzbetreiber zu ihren Projekten, oder auch aus den Projekten, die von Equigy selbst initiiert werden. All diese Projekte landen in dem sogenannten Product-Backlog. Das ist eine Liste der Anforderungen an die Funktionen der CBP Platform. Meine Aufgabe ist zu entscheiden, welche dieser Anforderungen zu priorisieren sind, in welcher Reihenfolge wir etwas machen und dabei auch die technischen Möglichkeiten zu berücksichtigen. Dabei fliessen unter anderem die Meinungen verschiedener Stakeholder ein, wie z.B. Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), Architekten, Business Consultants und Entwickler. So ergibt sich am Ende eine stetige Auslastung für die Teams. Im schlimmsten Fall kann es vorkommen, dass mehrere ÜNB gleichzeitig mit einem Projekt kommen. Dann ist es für mich nicht einfach abzuschätzen, welches priorisiert wird. Ich muss mich dann entscheiden, welche Anforderungen im Moment niedrigere Priorität haben. Aber zum Glück ist das bisher noch nicht häufig passiert.

Wie gehst du vor, wenn das geschieht?

Das ist schwierig. Es gilt die Strategie von Equigy zu berücksichtigen. Ich muss immer im Hinterkopf behalten, was Equigy an sich will und in welche Richtung man sich im Grossen und Ganzen entwickeln möchte. Das ist ein Punkt, der mir dabei hilft abzuschätzen, welches Projekt für den Moment das wichtigere ist. Oft spielen auch objektive Kriterien eine Rolle. Wenn es beispielsweise gleichzeitig zu zwei Aktivitäten kommt und bei der einen geht es um die Marktparteien, also die Händler, die in den Markt gehen möchten, hat diese Aktivität Priorität. Denn ein solches Projekt hat sofort Auswirkungen auf die Prozesse und bringt einen zusätzlichen Mehrwert für den Markt. Bei einem Pilotprojekt dagegen sind die Abhängigkeiten von externen Parteien nicht so stark. Ein solches Projekt ist ebenfalls wichtig, aber es kann später realisiert werden. Das hätte somit die niedrigere Priorität.

«Ich muss immer im Hinterkopf behalten, was Equigy an sich will und in welche Richtung man sich im Grossen und Ganzen entwickeln möchte. Das ist ein Punkt, der mir dabei hilft abzuschätzen, welches Projekt für den Moment das wichtigere ist.»

Lyuba Schulz

Bei Swissgrid warst du in der Funktion Specialist Economist & Contracts tätig. Wie kannst du dein Wissen in diesem Bereich bei Equigy einbringen?

Ich bringe durch meine vorherige Erfahrung viel Marktexpertise mit. Ich weiss ziemlich gut, wie die Energiemärkte funktionieren – nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern. Damit habe ich mich vor meinem Eintritt bei Equigy viel beschäftigt. Dieses Wissen hilft mir dabei, die Anforderungen der Übertragungsnetzbetreiber richtig aufzunehmen. In den Gesprächen mit IT-Mitarbeitenden kann ich sehr genau die Zusammenhänge erklären und da ein bisschen helfen. Denn teilweise sprechen die Mitarbeitenden in unterschiedlichen Sprachen – also was ihren Fachbereich betrifft. Es kann somit schwierig sein, die Fachsprache eines anderen Bereiches zu verstehen. Ich habe schon viele Rückmeldungen bekommen, dass sie das richtig schätzen, wenn ich zwischen den Fachsprachen übersetze, denn so bekommen sie mehr Kontext. Die Mitarbeitenden freuen sich, wenn ich kleine Kickoffs für die Teams mache, bevor wir ein Projekt starten. Dort erzähle ich, wie das Puzzleteilchen eines einzelnen Projekts in das Gesamtbild von Equigy passt und wie das schlussendlich vom Markt genutzt wird. Ich denke, für jeden Menschen ist es von Vorteil zu wissen, was der Sinn der Arbeit ist, die man macht.

Entscheidest du allein, welche Anfragen priorisiert werden und welche ihr angeht?

Schlussendlich ja. Aber natürlich spreche ich das auch intern durch, um sicherzustellen, dass wir alle der gleichen Meinung sind und damit keine Überraschungen kommen.

Wer kann alles bei Equigy mitmachen? Wen sucht Swissgrid eigentlich als Partner?

In der Schweiz sind es aktuell die Verteilnetzbetreiber und die Aggregatoren.  Die Aggregatoren bündeln dezentrale Flexibilitäten und vermarkten sie. Je mehr dieser Aggregatoren im Markt aktiv sind, desto mehr dezentrale Kapazitäten gibt es zusätzlich, die man im Regelenergiemarkt verwenden kann. Und das ist das Ziel der Übertragungsnetzbetreiber, die teilnehmen: Dass mehr dezentrale Flexibilitäten im Markt genutzt werden können.

Zum einen können also Verteilnetzbetreiber teilnehmen. Könnten auch private Leute bei Equigy teilnehmen, die dezentral Energie einspeisen können?

Das geht nicht, denn es braucht viel Knowhow in der Energiewirtschaft, um am Markt teilzunehmen. Ausserdem gibt es auch gewisse regulatorische Voraussetzungen, die man als Marktpartei erfüllen muss. Man muss sich vorstellen, dass die aktuellen Marktregeln weiterhin gelten. Equigy schafft an sich keinen zusätzlichen Markt, sondern hilft, diese dezentralen Flexibilitäten in den bestehenden Markt einzubringen. Für die Teilnahme an Regelenergiemärkten wie Primär-, Sekundär- und Tertiärregelung oder für Redispatch muss man bei Swissgrid als Systemdienstverantwortliche präqualifiziert sein. Das heisst unter anderem, dass einige notwendige Verträge abgeschlossen werden müssen. Als Privater ist das aktuell nicht möglich. Wenn ich zum Beispiel ein Elektroauto in der Garage habe und denke, ich könnte damit Geld verdienen, müsste ich als erstes einen Aggregator suchen und mit dem einen Vertrag machen. Der Aggregator wäre dann direkt bei Equigy angebunden und würde den Besitzer für seinen Beitrag entlohnen. Private nehmen also nur indirekt teil.

«Das ist das Ziel der Übertragungsnetzbetreiber, die teilnehmen: Dass mehr dezentrale Flexibilitäten im Markt genutzt werden können.»

Lyuba Schulz

Ich habe gesehen, dass es von anderen Ländern ähnliche Projekte wie Equigy gibt. Was macht Equigy so innovativ? Wie unterscheidet es sich von den anderen?

Solche Plattformen sind zurzeit ein heisses Thema. Sehr viele Leute arbeiten an solchen Projekten, was eigentlich gut ist, denn das Dezentralisieren wird die grösste Herausforderung für den Energiemarkt. Somit ist es gut, dass man diese von verschiedenen Seiten und mit unterschiedlichen Ideen angeht. Ich würde sagen, bei Equigy ist ein grosser Vorteil, dass es schon funktionierende Plattformen gibt. So können die Übertragungsnetzbetreiber bereits ihre ersten Erfahrungen sammeln. Je nach Ergebnis von Projekten können sie die Marktregeln anpassen, z.B. für die Pilotprojekte mit den Verteilnetzbetreibern. Ist das Ergebnis zufriedenstellend, arbeiten sie in die gleiche Richtung weiter. Equigy erlaubt mit diesem dezentralen Design einen schnellen und zuverlässigen Datenaustausch zwischen allen Partnern. Der Datenaustausch ist einer der wichtigsten Faktoren bei diesen kleinen Anlagen, die teilnehmen. Denn man muss ja die Handelsdaten, alle Fahrpläne und die Aktivierungen übermitteln, dann muss man prüfen, was schlussendlich geliefert wurde und was nicht. Equigy erlaubt eine Drehscheibenfunktion, also alle involvierten Parteien erhalten die gleichen Daten zur gleichen Zeit.

Equigy ist also schon sehr weit im Projekt?

In Holland gibt es schon Parteien, die am Markt für Sekundärregelung teilnehmen. Das heisst, die Aggregatoren registrieren ihre Anlagen, schicken ihr Gebote, sie bekommen Zuschlag oder nicht und sie werden aktiviert. Das funktioniert bereits im bestehenden Regelenergiemarkt. In Italien bietet Equigy seit Mai 2022 eine Plattform für das UVAM (virtually aggregated mixed units) Project. Es gibt zwei Händler, die ihre Flexibilitäten über die Plattform von Equigy anbieten. In Österreich gibt es ein Projekt für Sekundärregelung und in Deutschland gibt es ein Pilot-Projekt für Redispatch, in dem die Flexibilität der Wärmepumpen und der Elektroautos vom ÜNB genutzt werden kann. Technisch gesehen spielt es für Equigy keine Rolle, welches Produkt angeboten werden soll.

Weil das System dasselbe ist?

Genau, es geht grundsätzlich um die Registrierung, um das Bieten, um Zuschläge in Auktionen zu erhalten, Aktivierungen von Regelleistung und Messdaten.

Machts dir Spass für Equigy zu arbeiten? Es ist sicher etwas Neues.

Ja, das ist ganz anders. Ich war viele Jahre bei Swissgrid, daher war das eine super Möglichkeit, andere Leute, andere Abläufe, andere Meinungen und neue Perspektiven zu sehen. Das ist sehr inspirierend und bereichernd.

Es ist sicherlich ein Vorteil, dass sich die digitale Zusammenarbeit in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Vor allem da bei euch viele Mitarbeitende aus unterschiedlichen Ländern miteinander arbeiten müssen.

Ja, genau. Es ist ein weiteres Ziel von Equigy, dass wir in allen Märkten versuchen, einen internationalen Standard zu etablieren. Natürlich gibt es spezifische Regeln in jedem Markt, regulatorisch oder basierend auf deren Bedingungen, aber wir versuchen immer die gleichen Datenaustausch-Regeln zu verwenden und die gleichen Standards zu setzen. So können die Marktparteien, wenn sie an einem Markt über Equigy teilnehmen, relativ schnell und einfach auch in anderen Märkten teilnehmen. Das ist das oberste Ziel von Equigy. Aber dahin ist es noch ein langer Weg.


Autorin

Giulia Ferraro

Werkstudentin


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