Netz Innovation

Wir sitzen alle im selben Boot

Zweiter Beitrag der Blog-Serie «Unser Netz» zur strategischen Netzplanung bei Swissgrid

Autorin: Sandra Bläuer


Im ersten Beitrag der Blog-Serie warfen wir einen Blick in unser Zuhause der Zukunft und sahen ein energieoptimiertes und vernetztes Gesamtkunstwerk. Damit diese Vision Wirklichkeit wird, muss die Infrastruktur – das Stromnetz – mit der Digitalisierung und dem Umbau des Energiesystems Schritt halten.

Marc Vogel, Senior Specialist Market & System Design, widmet sich bei Swissgrid der strategischen Netzplanung. Hier erzählt er, warum er Kuchen backt, wenn die Sonne scheint und was das mit Swissgrid zu tun hat.

Marc, bringt ein smartes Zuhause wirklich einen Mehrwert oder sind diese Gadgets nur teure Spielereien?

Es gibt wohl beides: Gadgets, die wirklich nur der Unterhaltung dienen und Technologien, die einem das Leben erleichtern und gleichzeitig Strom und Geld sparen. Vor wenigen Jahren baute ich ein Einfamilienhaus. Primär war mir wichtig, dass dieses gut isoliert ist und den Minergie-Standard erfüllt. Mit einer Erdsonden-Wärmepumpe habe ich mich für die effizienteste Heizungstechnologie entschieden. Finanziell eine grosse Investition. Schaut man sich die laufenden Kosten im Vergleich zu Öl- oder Gasheizungen an, lohnt sich diese aber allemal. Besonders dann, wenn der Strom auf dem eigenen Hausdach produziert wird. Meine Solaranlage tut dies, und zwar sehr fleissig: Mein Solar Manager, ein wirklich schlaues Gadget, zeigt zu jedem Zeitpunkt, wie viel Strom auf dem Dach produziert wird und wie hoch der Verbrauch im Haus ist. Damit sehe ich, ob ich Strom aus dem Netz beziehen muss oder meinen Solarstrom in das lokale Verteilnetz einspeise. Bei letzterem startet der Solar Manager automatisch die Wärmepumpe und reduziert damit die Rückspeisung. So heize ich mein Zuhause und erzeuge das Warmwasser in der Regel mit eigenem Solarstrom. Die Wärme wird im Boiler und in der Gebäudehülle gespeichert – so muss die Heizung kaum mehr in der Nacht laufen. Mein eigener Solarstrom löst quasi den günstigen Niedertarif ab, den man früher vorwiegend nachts nutzte. Wenn möglich wasche ich meine Wäsche und backe Kuchen immer dann, wenn es draussen hell ist. Smarte Helfer und das Ändern alter Gewohnheiten machen uns unabhängiger von Strompreisschwankungen am Markt und lassen uns Geld sparen.

Gut isoliert, mit effizienter Erdsonden-Wärmepumpe und Solaranlage auf dem Dach: Das Zuhause von Marc Vogel ist energieoptimiert und leistet einen Beitrag zum Gelingen der Energietransformation.
Gut isoliert, mit effizienter Erdsonden-Wärmepumpe und Solaranlage auf dem Dach: Das Zuhause von Marc Vogel ist energieoptimiert und leistet einen Beitrag zum Gelingen der Energietransformation.

Ein neues Tarifsystem könnte hier Anreiz bieten?

Absolut, das Tarifsystem hat eine grosse Bedeutung. In der Schweiz bezahlen die Verteilnetzbetreiber den Solarstromproduzenten unterschiedliche Tarife für den ins Netz eingespeisten Strom. Die Vergütung liegt aktuell zwischen 4 und 41 Rappen pro Kilowattstunde. Grosse regionale Unterschiede und teilweise monatliche Anpassungen aufgrund der Marktpreise sind für Solarstromproduzenten schwierig nachvollziehbar und bedeuten Unsicherheiten in Bezug auf die Investition. Ich bin der Meinung, dass der Tarif für Strombezug aus dem Netz stets höher sein muss als der Betrag, den ich für das Einspeisen meines Solarstroms ins Netz erhalte. Nur so bemühe ich mich darum, den eigenen Solarstrom möglichst vor Ort zu verbrauchen. So wird das Stromnetz entlastet und muss weniger stark ausgebaut werden – das wirkt sich langfristig positiv auf die Netznutzungsentgelte aus.

«Smarte Helfer und das Ändern alter Gewohnheiten machen uns unabhängiger von Strompreisschwankungen am Markt und lassen uns Geld sparen.»

Marc Vogel

Da fehlt nur noch das Elektroauto?

Das ändern wir in den nächsten Monaten. Wir ersetzen unser dieselbetriebenes Auto durch einen Elektroflitzer. Das liegt nahe, da wir den «Sprit» für das E-Auto inzwischen selbst erzeugen und das Auto hauptsächlich in der Freizeit nutzen. Es kann also tagsüber zuhause vollständig mit eigenem Solarstrom laden – selbst im Winter. Das bestellte Modell ist ausserdem eine Batterie auf Rädern, da es das bidirektionale Laden unterstützt. Unser Auto kann also nicht nur mit eigenem Solarstrom geladen werden, sondern gibt ihn auch wieder ab, wenn gewünscht. Mit der 80 kWh-Batterie des Fahrzeuges kann unser Einfamilienhaus rund fünf Tage lang versorgt werden. Da bidirektionale Ladestationen aktuell noch sehr teuer sind, warten wir ab. Ich gehe davon aus, dass die Anschaffungskosten in den nächsten zwei Jahren massiv sinken werden. Wie das bei vielem der Fall ist, wenn die Nachfrage steigt und den Wettbewerb zwischen den Herstellern antreibt.

Solaranlagen, E-Autos als Batterien: Plötzlich speisen Kunden selbst produzierten Strom in das Verteilnetz ein und werden damit zu sogenannten «Prosumer». Ist das Netz, das als Einbahnstrasse konzipiert wurde, überhaupt bereit dazu?

Ziel ist es, Strom für die Nacht speichern zu können. Eine Ersatzstromquelle für die Kernkraftwerke, welche mittelfristig vom Netz gehen, könnten die E-Autos sein. Laden wir die Batterien von 100'000 E-Autos, damit diesen den Strom nachts wieder ins Netz abgeben können, so entspricht dies ungefähr der Leistung eines Kernkraftwerks. E-Autos sind also zukünftig Fortbewegungsmittel und Batterie in Einem. Bisher stehen unsere Autos rund 95 Prozent der Zeit nutzlos herum. Das ändert sich nun. Um dieses grosse Potenzial zu nutzen, braucht es zukünftig sowohl zuhause als auch an den Arbeitsplätzen bidirektionale Netzanschlüsse. Um Ladespitzen bei gleichzeitigem Laden vieler Autos zu vermeiden, muss ein cleveres Lademanagement implementiert werden. Energiepooler werden Marktprodukte entwickeln, über die wir Elektroautobesitzer Strom abgeben und beziehen können, egal wo wir sind. Wir werden mit unseren Elektroautos zukünftig richtig Geld verdienen. Swissgrid engagiert sich übrigens bei der Plattform «Equigy», welche dezentrale, flexible Speicher wie Batterien zur Netzstabilisierung nutzen will.

 

«Ziel ist es, Strom für die Nacht speichern zu können. Da helfen uns grosse Pumpspeicherkraftwerke und eine Masse an Elektroautos, welche zu 95% der Zeit irgendwo geparkt sind.»

Marc Vogel

Das lässt sich einfach sagen, wird das in Zukunft tatsächlich Wirklichkeit werden und was bedeutet das für die Netzbetreiber?

Wir sitzen alle im selben Boot: Beschäftigen wir uns nicht mit dem eigenen Energieverbrauch, so steigt der Ausbaubedarf bei den Netzen. Und zwar vom Verteilnetz bis zum Übertragungsnetz. Ein Beispiel: Um Netzengpässe, besonders im Winter, zu managen, muss Swissgrid in den Einsatz von Kraftwerken eingreifen oder die bestehende Infrastruktur zur Kapazitätserhöhung modernisieren und ausbauen. Es wird mehr Regelenergie gebraucht, um das Netz stabil zu halten. Diese Massnahmen bedeuten Kosten im Milliardenbereich und fallen bei allen Netzbetreibern an. Kosten, die via Netznutzungsentgelte auf die Endverbraucherinnen und Endverbraucher umgelegt werden. Jeder der in der Schweiz Strom bezieht, bezahlt also für diese Massnahmen. Ziel muss es also sein, Kosten für teure Speicher, für den Ausbau der Netze und für Massnahmen wie Redispatch und den Einsatz von Regelenergie zu vermeiden. Das gelingt uns, indem wir den Strom bestenfalls da verbrauchen, wo er produziert wird – indem wir die Speicher intelligent nutzen, die wir sowieso zu Hause haben (Elektroauto, Warmwasserboiler). Das ist der Weg zu einem Gesamtsystem, das volkswirtschaftlich effizient funktioniert.

Wie die Abstimmung zwischen Swissgrid und den Partnern der Branche funktioniert und damit sichergestellt wird, dass alle Veränderungen in die Netzplanung einfliessen, das zeigen wir anhand eines Beispiels im dritten Beitrag der Blog-Serie «unser Netz».



Autorin

Sandra Bläuer
Sandra Bläuer

Communication Manager


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