Oft werden zur Geräuschreduktion mehrere Leiterseile pro Phase eingesetzt.

Wenn es knistert

Das Wetter hat Einfluss auf die Geräusche unter Höchstspannungsleitungen. Es gibt aber noch weitere wichtige Faktoren.

Gastautor: Pascal Bleuler , Joshu Jullier


Nach dem Regen ist ein Spaziergang besonders schön. Alles glänzt im Licht der Sonne und wirkt wie frisch gewaschen. Wer genau in diesem Moment schon einmal unter einer Höchstspannungsleitung durchgelaufen ist, hat es vielleicht schon wahrgenommen, ein Knistern und Brummen, das von der Leitung herrührt. Doch wieso hört man diese Geräusche nur manchmal und wieso sind sie nicht immer gleich laut? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir verstehen, wie solche Geräusche überhaupt entstehen.

Das elektrische Feld als Ursache für Geräusche

Sobald eine Höchstspannungsleitung eingeschaltet ist, ist sie unter Spannung, auch wenn darüber kein Strom fliesst. Dabei entsteht ein elektrisches Feld. Dasselbe passiert auch, wenn wir im Haushalt ein Gerät an die Steckdose anschliessen. Auch wenn es ausgeschaltet bleibt, entsteht durch die Spannung ein elektrisches Feld. Doch nun zurück zur Höchstspannungsleitung: Das elektrische Feld ist direkt an den Leiterseilen sehr stark und nimmt dann mit der Distanz rasch ab. Bei Unebenheiten auf dem Leiterseil, wie zum Beispiel Wassertropfen, kann das Feld lokal stärker werden. Durch das starke Feld können sich elektrische Entladungen entwickeln. Diese sogenannten Koronaentladungen verursachen die wahrnehmbaren Geräusche, die als Knistern oder Brummen beschrieben werden können.

Elektrische Entladungen an Wassertropfen auf einem Leiterseil
Elektrische Entladungen an Wassertropfen auf einem Leiterseil (Quelle: ETH Zürich)

Die Geräusche, die wir bei unserem Spaziergang nach dem Regen hören, haben also nichts mit der Auslastung der Leitung zu tun, sie entstehen immer, wenn die Leitung in Betrieb ist und Wassertropfen auf den Leiterseilen liegen. Anstelle von Wassertropfen können auch Pollen oder andere Verunreinigungen die Koronaentladungen auslösen.

Koronaentladungen entstehen also bei Pollen oder Regentropfen am Leiterseil, verursacht durch das elektrische Feld, welches wiederum von der Spannung abhängt. Je grösser die Spannung, desto stärker ist das elektrische Feld. Deshalb treten Geräusche bei Leitungen mit 380 Kilovolt Spannung häufiger auf als bei 220-Kilovolt-Leitungen oder bei Verteilnetzleitungen. Doch wie können solche Geräusche gemindert werden?

Je älter das Leiterseil, desto geringer die Geräusche

Ein neues Leiterseil ist lauter als ein altes Leiterseil. Das hört sich im ersten Moment paradox an und ist nicht etwa minderer Qualität des neueren Materials geschuldet. Leiterseile bestehen aus glatten Aluminiumdrähten. Sind diese neu, wirken sie sehr wasserabweisend. Auf einer wasserabweisenden Oberfläche, wie zum Beispiel einem Regenmantel, entstehen viele Tropfen. Anders verhält es sich mit einer wasseranziehenden Oberfläche wie einer Jeans. Auf ihr entwickelt sich ein Wasserfilm und es gibt praktisch keine Wassertropfen. Je älter und verwitterter ein Leiterseil ist, desto mehr wird seine Oberfläche wasseranziehend. Und weil sich weniger Tropfen bilden, gibt es auch weniger Geräusche.

Ein neues Leiterseil wirkt wasserabweisend. Dadurch bilden sich viel eher Tropfen, als wenn das Seil wasseranziehend ist.
1/1: Ein neues Leiterseil wirkt wasserabweisend. Dadurch bilden sich viel eher Tropfen, als wenn das Seil wasseranziehend ist. (Bild: ETH Zürich)

Was kann man nun tun, damit die neuen Leiterseile nicht zu laut sind? In der Nähe eines Siedlungsgebiets können neue Leiterseile eingesetzt werden, die entweder mit einer speziellen wasseranziehenden Farbe beschichtet sind oder die mit technischen Verfahren (wie Sandstrahlen) behandelt wurden, damit sie wasseranziehend sind. Solche behandelten Seile sind matt und glänzen nicht.

Je dicker das Leiterseil, desto leiser die Geräusche

Je mehr Querschnitt ein Leiterseil hat, desto geringer ist das elektrische Feld. Das liegt an der grösseren Oberfläche des Leiterseils. Im Klartext: Je dicker ein Leiterseil ist, desto weniger Koronaentladungen und damit weniger Lärm. Das elektrische Feld an der Oberfläche des Leiterseils kann auch durch die Verwendung mehrerer Leiterseile anstatt nur einem begrenzt werden. Deshalb werden bei Höchstspannungsleitungen oft mehrere Leiterseile pro Phase eingesetzt, was man nur bei genauem Hinschauen aus der unmittelbaren Nähe erkennt, weil die Seile sehr nahe beieinander liegen. Aber weshalb hängt man jetzt nicht einfach viel mehr oder dickere Seile an die Masten und das Problem ist gelöst? Je dicker das Seil, desto schwerer. Das Gewicht der Leiterseile tragen die Masten. Bei vielen oder dickeren Leiterseilen braucht es stärkere Masten mit mehr Stahl. Nebst erhöhtem Materialaufwand ist ein mächtigerer Mast auch besser sichtbar und kann weniger gut in die Landschaft eingebettet werden.

Ein grösserer Querschnitt bei Leiterseilen hat aber nebst leiseren Geräuschen noch einen zweiten Vorteil: Die Übertragungsverluste sind geringer. Es spielen hier also viele Faktoren eine Rolle. Wie so oft geht es um die Suche nach einem bestmöglichen Kompromiss zwischen Lärm, Übertragungsverlusten, Stahlbedarf, Kosten, Sichtbarkeit und weiteren Faktoren.

Oft werden zur Geräuschreduktion mehrere Leiterseile pro Phase eingesetzt.
Oft werden zur Geräuschreduktion mehrere Leiterseile pro Phase eingesetzt.

Neue Erkenntnisse gewinnen

Die ETH Zürich forscht an der genaueren Messung und Berechnung der für die Geräusche verantwortlichen Koronaentladungen. Dazu werden Messungen unter realen Bedingungen durchgeführt, zum Beispiel beim Freiluftversuch in Däniken. Dabei werden unterschiedliche Parameter wie das elektrische Feld und der durch die Koronaentladungen verursachte Verluststrom unter verschiedenen Wetterbedingungen zusammen mit meteorologischen Parametern gemessen. Ziel ist es, besser zu verstehen, unter welchen Bedingungen Koronaentladungen entstehen, um die Geräuschentwicklung genauer vorauszusehen. Dank einer exakteren Modellierung der Geräusche kann zukünftig besser geplant werden, wo Massnahmen zur Geräuschreduktion notwendig sind und wo welche Art von Leiterseilen verwendet werden sollte. Im Labor werden Leiterseile mit neuartigen Oberflächenbehandlungen unter einem Regensimulator untersucht, um sie miteinander zu vergleichen und zu schauen, bei welcher Oberflächenbehandlung am wenigsten Regentropfen gebildet werden. Die Erkenntnisse der ETH Zürich helfen Swissgrid bei der Auswahl der Leiterseile für neue Leitungen und zur Voraussage der Geräuschentwicklung. So ist gewährleistet, dass die Grenzwerte jederzeit eingehalten sind.

Beim Freiluftversuch in Däniken werden Koronaentladungen unter realen Bedingungen gemessen.
Beim Freiluftversuch in Däniken werden Koronaentladungen unter realen Bedingungen gemessen. (Bild: ETH Zürich)
Beispiele für Korona-Geräusche
Beispiele für Korona-Geräusche

Gastautor

Pascal Bleuler

Wissenschaftlicher Assistent
Labor für Hochspannungstechnik, ETH Zürich

Autor

Joshu Jullier
Joshu Jullier

Communication Manager


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