Wahr oder fake? Der grosse Mythen-Check zum Stromnetz geht in die zweite Runde

Achter Beitrag der Blog-Serie «Unser Netz» zur strategischen Netzplanung bei Swissgrid

Autorin: Sandra Bläuer


Das Stromnetz geht alle an und ist zugleich ein komplexes Thema – der perfekte Nährboden für verschiedenste Mythen. Doch was stimmt? Höchste Zeit für einen Mythen-Check.

Mythos 1: Der Strom in der Schweiz fliesst zuverlässig. Das Netz besteht und ist amortisiert. Da braucht es keine grossen Investitionen.

Doch, die braucht es: Ohne Netz fliesst kein Strom. Rund zwei Drittel des Schweizer Übertragungsnetzes ist heute zwischen 50 und 80 Jahre alt. Eine Freileitung hat eine Lebensdauer von rund 80 Jahren. Die Rechnung zeigt: Wir müssen das Stromnetz laufend unterhalten, modernisieren und ausbauen. Aber nicht nur aufgrund seines Alters. Es muss auch mit der Energiewende Schritt halten. Dort, wo wir zukünftig Strom produzieren, braucht es ein leistungsfähiges Netz. Nur so kommt der Strom von den Solaranlagen, den Windparks und den Wasserkraftwerken dorthin, wo wir Menschen und die Industrie ihn braucht. Wir müssen in unser Netz investieren, weil wir uns weiterhin auf eine sichere Stromversorgung verlassen wollen.

Wir müssen in unser Netz investieren, weil wir uns weiterhin auf eine sichere Stromversorgung verlassen wollen.

Mythos 2: Zuerst müssen wir genügend Strom produzieren. Danach lassen sich rasch neue Übertragungsleitungen bauen oder bestehende verstärken.

Das ist bei den aktuellen Bewilligungsverfahren nicht möglich. Aktuell dauert es vom Projektstart bis zur Inbetriebnahme einer neuen Leitung rund 15 Jahre. Einsprachen und Gerichtsurteile führen  immer wieder dazu, dass sich Projekte deutlich verzögern – und bis zu 30 Jahre dauern. Eine Produktionsanlage dient niemandem, wenn die Netzkapazitäten nicht ausreichen, um die produzierte Energie abzutransportieren. Damit die Stromnetze nicht zum Nadelöhr der Energiewende werden, muss der Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Netzausbau abgestimmt sein. Die Energiewende braucht ein starkes Stromnetz. Die Bewilligungsverfahren müssen beschleunigt werden.

Bewilligungsverfahren

Blog: Das Stromnetz fit machen für die Energiewende

Die Energiewende braucht ein starkes Stromnetz. Die Bewilligungsverfahren müssen beschleunigt werden.

Mythos 3: Das Netz wird auf Vorrat ausgebaut. Das ist unnötig und teuer.

So wie es auf den Strassen zu Staus kommen kann, entstehen auch im Stromnetz Engpässe. Solche Engpässe sorgen künftig zum Beispiel dafür, dass nicht alle E-Autos gleichzeitig laden und die Solaranlagen im Sommer zeitweise nicht ihren gesamten Strom ins Netz einspeisen können. Um Engpässe zu vermeiden, plant Swissgrid langfristig und wendet dabei das NOVA-Prinzip an. NOVA steht für «Netzoptimierung vor Netzverstärkung vor Netzausbau». Die bestehende Infrastruktur wird optimiert und verstärkt. Nur dort, wo es zwingend notwendig ist, baut Swissgrid neue Leitungen. Beispielsweise um neue Produktionsanlagen ans Netz anzuschliessen. Dazu braucht es ein robust ausgebautes Netz und Klarheit darüber, wie viel Leistung an welchem Netzknotenpunkt angeschlossen werden kann. Darum kümmert sich Swissgrid in ihrer strategischen Netzplanung.

Netz der Zukunft

Die bestehende Infrastruktur wird optimiert und verstärkt. Nur dort, wo es zwingend notwendig ist, baut Swissgrid neue Leitungen.

Mythos 4: Ist das Netz erst gebaut, ist es ein Selbstläufer, der sich für die Betreiber finanziell lohnt.

Nein, für eine sichere Stromversorgung setzen sich tagtäglich Spezialistinnen und Spezialisten bei Swissgrid ein. Das Schweizer Übertragungsnetz muss unterhalten, modernisiert und ausgebaut werden. Nur so bleibt es eines der zuverlässigsten Übertragungsnetze der Welt. Rund 12 000 Inspektionen jährlich und regelmässige Unterhaltsarbeiten stellen dies sicher. Zwei Drittel des insgesamt 6700 Kilometer langen Schweizer Übertragungsnetzes stammen aus der Zeit vor 1980. Die Freileitungen sind Wind und Wetter ausgesetzt, in den Bergen auch Lawinen, Murgängen oder Steinschlägen. Das Übertragungsnetz muss laufend modernisiert und ausgebaut werden. Denn die Energiewende fordert einen Wandel des Energiesystems. Davon ist auch das Netz betroffen – und dieser Wandel kostet Geld.

Unterhalt

Tarife

Mythos 5: Wenn Freileitungen nur 80 Jahre Lebensdauer haben, dann wäre es besser, das Netz unterirdisch zu verlegen. Damit ist es weniger Umwelteinflüssen ausgesetzt.

Beide Technologien weisen ihre Vor- und Nachteile auf. Es ist richtig, dass Erdkabel der Witterung weniger ausgesetzt sind als oberirdische Freileitungen. Die Lebensdauer eines Erdkabels im Übertragungsnetz ist mit ca. 40 Jahren  halb so lang wie eine Freileitung. Sie müssen öfters erneuert werden und sind zudem bereits im Bau zwischen 2 und 10 Mal teurer. Diese Mehrkosten für die Erdkabel tragen alle Stromkonsumentinnen und Stromkonsumenten gemeinsam. Während in tieferen Netzebenen Erdverlegungen von Stromleitungen den Standard bilden und Freileitungen die Ausnahme sind, ist es im Übertragungsnetz genau umgekehrt. Der Energietransport auf der Höchstspannungsebene (380 kV und 220 kV) funktioniert heute weitestgehend über oberirdische Freileitungen. Sie machen 99 Prozent des Schweizer Übertragungsnetzes aus und haben sich bewährt. Swissgrid hat in den vergangenen Jahren im Übertragungsnetz Erdkabelleitungen mit einer Gesamtlänge von über 40 Kilometern realisiert. Der Einsatz von Erdkabeln im Höchstspannungsnetz ist relativ neu und folglich verhältnismässig wenig erprobt. Erdkabel wirken sich aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften auf die Stabilität des gesamten Übertragungsnetzes aus. Die technischen Herausforderungen nehmen zu, je mehr Leitungsabschnitte des Übertragungsnetzes in den Boden verlegt werden.

Blog: Technologien im Höchstspannungsnetz

Diese Mehrkosten für die Erdkabel tragen alle Stromkonsumentinnen und Stromkonsumenten gemeinsam.

Mythos 6: Bald braucht es kein Stromnetz mehr. Dank Solaranlagen auf den Dächern werden alle ihren eigenen Strom produzieren.

Im Gegenteil, denn der Zuhause produzierte Strom wird nicht immer dort verbraucht. Viele Solarstromproduzentinnen und -produzenten speisen ihren Strom ins lokale Verteilnetz. Besonders dann, wenn die Sonne über längere Zeit scheint und die Anlage mehr Strom produziert, als lokal verbraucht wird. Hinzu kommt: In Zeiten mit geringer lokaler Stromproduktion durch Solar- und Windenergieanlagen muss Strom von weiter entfernten Kraftwerken oder Speichern zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern transportiert werden. Auch deshalb bleibt das Netz unverändert wichtig. Die vollständige Autarkie, also eine Stromversorgung ohne Netz, wäre nur zu sehr hohen Kosten und mit grossen Komforteinschränkungen erreichbar. Denn im Winter produziert die Solaranlage zu wenig Strom und im Sommer zu viel. Der saisonale Ausgleich ist eine grosse Herausforderung.

Blog: Bei Solaranlagen immer auch ans Stromnetz denken

Netzebenen


Autorin

Sandra Bläuer
Sandra Bläuer

Communication Manager


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