Areal Erlenmatt Ost

Innovation

«Ein facettenreicher Strauss nachhaltiger Projekte»

Autorin: Silvia Zuber

Im Areal Erlenmatt Ost in Basel ist eine der grössten Eigenverbrauchsgemeinschaften der Schweiz zuhause. Über 500 Personen verbrauchen dort mehrheitlich lokal produzierten, erneuerbaren Strom. Das mit dem Watt d'Or ausgezeichnete Projekt ist bezeichnend für den schweizweiten Trend hin zu einem dezentralen Stromsystem.


Im Interview

Urs Buomberger
Urs Buomberger

Projektentwickler
Stiftung Habitat Basel

Herr Buomberger, die Stiftung Habitat hat 2010 das Areal Erlenmatt Ost als Zusammenschluss zum Eigenverbrauch, auch ZEV genannt, realisiert. Wie verorten Sie das Potenzial solcher ZEV?

Urs Buomberger: Das Erlenmatt Ost ist das erste grosse Areal, dass wir als Wohnbaustiftung von Grund auf entwickelt und mit verschiedenen Bauträgerschaften bebaut haben. Hier konnten wir unseren Ideen Gestalt geben: Dazu gehört unter anderem bezahlbarer Wohnraum für Menschen in allen Lebenslagen, aber auch die Idee, dass Wohnen und Arbeiten im gleichen Quartier möglich ist. Auch bei der Energieversorgung sind wir mit dem Entscheid, einen ZEV zu realisieren, neue Wege gegangen. Es ist zu erwarten, dass das ZEV-Modell weiterhin an Bedeutung gewinnt. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind in den letzten Jahren verstärkt für Fragen der Energiegewinnung sensibilisiert worden, insbesondere durch den Klimawandel und den Krieg in der Ukraine. Die Mietenden möchten vermehrt wissen, woher ihre Energie stammt.

Woher kamen der Impuls sowie das Know-how zu diesem ZEV?

Der Anstoss zur Umsetzung des ZEV mit einer eigenen Energiezentrale auf dem Areal Erlenmatt Ost entsprang aus internen Workshops mit Beteiligung externer Expertinnen und Experten. Über längere Zeit wurden Gespräche und Diskussionen zu Fragestellungen rund um die Umsetzung von Energiefragen, Baulogistik, Terminpläne etc. geführt. Wiederholt setzten wir uns mit einer vermeintlich einfachen, doch grundlegenden Frage auseinander: Welche Ziele wollen wir mit dem Areal erreichen und welche Signale möchten wir setzen? Diese Überlegungen führten zu einer unkonventionellen Herangehensweise. Auf der Basis des aus dem öffentlich-rechtlichen Wettbewerb resultierenden Bebauungsplans initiierten wir einen privat-rechtlichen städtebaulichen Wettbewerb. Unsere Absicht dabei war die Ermöglichung einer kleinteiligen Bebauung. Hinsichtlich Energieversorgung entschieden wir uns bewusst für eine ökologische Lösung und gegen eine naheliegende Standardlösung mit einem lokalen Stromversorger.

Areal Erlenmatt Ost
Grösste Eigenverbrauchsgemeinschaft der Schweiz: Seit 2021 ist auf dem Areal Erlenmatt Ost inmitten von Basel die grösste Solarstrom-Eigenverbrauchsgemeinschaft der Schweiz beheimatet. Die ca. 500 Bewohnerinnen und Bewohner und rund 25 Gewerbebetriebe werden mit mehrheitlich vor Ort produzierter und erneuerbarer Wärme und Strom versorgt. Solche Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch, auch ZEV genannt, sind ein schweizweiter Trend.

 
Welche Ziele wollte die Stiftung Habitat mit Erlenmatt Ost in Bezug auf Energiefragen erreichen?

Energiefragen gehörten zu den zentralen Aspekten bei der Entwicklung des Areals. Im Vordergrund standen auch die Kleinteiligkeit des Areals und weiter ökologische Aspekte. Auf dieser Basis wurde die beste Lösung gesucht und schliesslich im ZEV gefunden. Als Stiftung, die sich vorrangig für bezahlbare Mieten und ein lebenswertes Stadtquartier einsetzt, lag es nicht in unserer Kompetenz, eine eigene Energiezentrale zu betreiben. Daher suchten wir nach einem geeigneten Partner, den wir in der ADEV-Energiegenossenschaft fanden. Mit der in der Nähe ansässigen Firma Roche konnte zudem ein ökologischer Grundwasser-Kreislauf errichtet werden: auf dem Areal Erlenmatt Ost wird dem Grundwasser Wärme zum Heizen entzogen. Das gekühlte Wasser geht dann weiter an Roche, die es für die Kühlung ihrer Anlagen braucht.

Welche Formen des Eigenverbrauchs gibt es aktuell auf dem Areal?

Sämtliche Dächer sind mit Photovoltaikanlagen ausgestattet. Das ist Pflicht, damit die Energiezentrale optimal betrieben werden kann. Im Sommer deckt das Areal seinen Strombedarf tagsüber oft vollständig selbst. Darüber hinaus sind drei Wärmepumpen mit einem Heizspeicher von 70m3 installiert. Diese Konfiguration ermöglicht es, Wärme zu erzeugen, wenn der Solarstrom verfügbar ist. Überschüsse füllen die Warmwasser-Pufferspeicher. Was darüber hinausgeht, wird ins Netz gespiesen. Insgesamt erreichen wir so einen Eigenverbrauch von über 80%.

Was geschieht, wenn nicht genügend Energie für den Eigenverbrauch produziert werden kann?

Insbesondere während der Wintermonate wird die benötigte Energie über die AEDV-Energiegenossenschaft aus dem Klein-Wasserkraftwerk Moosbrunnen bezogen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sämtliche Energie zu 100% ökologisch in der Schweiz erzeugt wird.

Ganz zu Beginn des Projektes haben wir das Ziel formuliert, eine vollständige autarke Energieversorgung zu erreichen.

Urs Buomberger

 
Inwiefern war Energieautarkie, also eine eigenständige Energieeigenversorgung, ein Thema?

Ganz zu Beginn des Projektes haben wir das Ziel formuliert, eine vollständige autarke Energieversorgung zu erreichen. Davon zeugt ein spezieller Batterieraum zur Stromspeicherung, den wir baulich von Beginn an in die Wege geleitet haben. In Zusammenarbeit mit externen Spezialisten mussten wir seinerzeit jedoch erkennen, dass ein solches Vorhaben für ein Areal dieser Grösse weder ökologisch sinnvoll noch wirtschaftlich ist. Erlenmatt Ost will kein Quartier im Quartier sein, sondern Teil der Stadt und ist jetzt auch Teil einer gesamtheitlichen Energieversorgung, aber eben mit einer eigenen Energiezentrale.

Messen Sie den Verbrauch für jeden Haushalt und falls ja, können Sie diesen auch ein Stück weit regulieren?

In unserem verbindlichen Nachhaltigkeitskonzept für alle Gebäude legen wir fest, dass effiziente Haushaltsgeräte und Leuchtmittel verwendet werden müssen. Der tatsächliche Energieverbrauch wird von der ADEV-Energiegenossenschaft gemessen und abgerechnet. Grundsätzlich regelt ein eigens entwickeltes Reglement die Stromversorgung des Areals. Dieses hat nicht nur für unsere Mietenden Gültigkeit, sondern ist auch ein integrierender Bestandteil der Baurechtsverträge und regelt die Bedingungen, zu denen die ADEV die Elektrizität an die Strombezüger abgibt. Sofern die Stromkosten 5% unter dem Kleinbezüger-Tarif liegen, wird der Differenzbetrag verwendet, um einen Fonds für nachhaltige Investitionen zu äufnen.

Wie steht es um die Sektorenkopplung in der Erlenmatt Ost?

Die ADEV kam mit der Idee für bidirektionales Laden mit Fahrzeugen auf uns zu, und wir empfanden die Konzeption als faszinierend und passend für Erlenmatt Ost. Wir unterstützten die Idee aktiv. Auch hier galt: Als Wohnbaustiftung war für uns klar, dass wir nicht die Betreiber der Fahrzeuge sein würden. Dazu braucht es braucht es eine spezielle Infrastruktur und Technologie sowie spezielle Autotypen. Das Pilotprojekt wurde wissenschaftlich begleitet und ermöglichte in der Folge wichtige Rückschlüsse hinsichtlich Skalierung. Es ist erfreulich, dass Erlenmatt Ost das erste Areal in der Schweiz war, das bidirektionales Laden realisiert hat. Es steht exemplarisch für die vielen innovativen Projekte vor Ort.

Es erfüllt uns mit Freude, den Preis in der Kategorie Gebäude und Raum gewonnen zu haben.

Urs Buomberger

 
Welche Bedeutung hatte der Gewinn des Watt d’Or?

Der Watt d'Or gilt vermutlich als der bedeutendste nationale Nachhaltigkeitspreis in der Schweiz. Es erfüllt uns mit Freude, diesen Preis in der Kategorie Gebäude und Raum gewonnen zu haben. Die Jury war nicht nur von der technischen Lösung beeindruckt, sondern auch davon, wie Nachhaltigkeit auf Erlenmatt Ost aktiv gelebt wird. Beispiele hierfür sind die Anwesenheit von Hühnern, die ihre Küken im örtlichen Kindergarten ausbrüten. Wie erwähnt, präsentiert sich Erlenmatt Ost als facettenreicher Strauss unterschiedlicher nachhaltiger Projekte.

Hat die Stiftung Habitat aufgrund der Entwicklung von Erlenmatt Ost allgemeine Vorgaben zur Nachhaltigkeit für ihre Bauprojekte abgeleitet?

Aktuell hat die Stiftung Habitat keine übergeordneten Nachhaltigkeitsrichtlinien. Dennoch prüfen wir bei jedem Projekt sorgfältig, welche Massnahmen in puncto Nachhaltigkeit möglich und sinnvoll sind. Ein aktuelles Bauprojekt auf Lysbüchel Süd fokussiert beispielsweise auf das Thema Re-Use. Bestehende Küchen und auch andere Baumaterialien werden wiederverwendet. In einem anderen Projekt haben wir kostengünstigen Wohnraum für Grossfamilien geschaffen. Fragen zur ökologischen Energieversorgung stehen dabei selbstverständlich immer im Fokus.

Welche Learnings haben Sie aus dem Projekt Erlenmatt Ost gezogen?

Es ist selbstverständlich, dass wir kontinuierlich aus abgeschlossenen Projekten lernen, um diese Erkenntnisse in zukünftigen Vorhaben einzubringen. Bei jedem Projekt prüfen wir sorgfältig, welche Massnahmen in puncto Nachhaltigkeit möglich und sinnvoll sind. Beim Areal Lysbüchel Süd, das nach der Entwicklung von Erlenmatt Ost entstand, wurde wiederum ein ZEV realisiert. Gegenüber Erlenmatt Ost haben wir die Vertragsstrukturen vereinfacht, indem die einzelnen Baurechtsnehmenden direkt Vertragspartner wurden mit der ADEV.


Autorin

Silvia Zuber
Silvia Zuber

Project Manager


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